
FAZ-Autor Philipp Krohn berichtete nach einem Gespräch mit diz-Vorstand Thorsten Kircheis über neues Interesse an Zeitwertkonten.
Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern ein Sabbatical ermöglichen wollen, greifen sie zu diesem Instrument. Doch die Verbreitung stockt.
pik. FRANKFURT, 8. Juni. Es gab Zeiten, in denen war das Interesse der Bundespolitik an Lösungen von Finanzdienstleistern begrenzt. In der betrieblichen Altersversorgung kam es seit etwa 2009 zu einer Stagnation im Markt. Zeitwertkonen, in denen Beschäftigte Entgeltansprüche sammeln können und diese dann später für die Finanzierung von Auszeiten (zur Pflege Angehöriger, zur Betreuung von Kindern, für ein Sabbatical) nutzen können, sind sogar seit je ein Nischen phänomen. Doch sowohl die Altersvorsorge als auch die finanzielle Ausstattung anderer politischer Ziele sind wieder stärker in den Fokus gerückt und damit auch die Instrumente, die lange Zeit ein Schattendasein geführt haben.
„Die Politik braucht nur die Rahmenbedingungen zu setzen, um die Verbreitung zu verbessern“, sagt Thorsten Kircheis, Vorstand des Deutschen Instituts für Zeitwertkonten und Pensionslösungen AG (diz). Er sieht einige unnötige Hemmschuhe, die einer höheren Durchdringung in den Unternehmen entgegenstehen. So habe die Politik ein Steuerprivileg für Organe eines Unternehmens zurückgenommen, um ein Steuerschlupfloch zu verhindern. „Dadurch ist das Ansparen in einem Zeitwertkonto nun zum Nettosparen geworden, das ergibt keinen Sinn“, sagt Kircheis. Zudem falle es Arbeitnehmern schwer, Ansprüche aus einem Zeitwertkonto zu einem neuen Arbeitgeber mitzunehmen. Zwar seien diese als Sondervermögen auf die Deutsche Rentenversicherung übertragbar, aber erst ab der nicht unbeträchtlichen Summe von 12 500 Euro. „Die Grenze sollte niedriger sein, jetzt wird das Konto zwingend aufgelöst“, kritisiert er. Allerdings sieht er Signale aus der großen Koalition, an den Stellschrauben nachzudrehen.
Das Instrument der Arbeitszeitkonten ist in deutschen Betrieben durchaus verbreitet, wie eine Studie von TNS Infratest und der Universität Duisburg-Essen im November 2011 gezeigt hat, für die 4700 Betriebe befragt wurden. Demnach gab es solche Regelungen damals in 44 Prozent aller Betriebe. Allerdings glichen diese Konten Gleitzeiten, Überstunden oder Flexikonten in der überwiegenden Mehrzahl nur über den Zeitraum von einem Jahr aus. Nur zwei Prozent der Betriebe dagegen nutzten Ausgleichszeiträume von mehr als einem Jahr.
Die Verbreitung dürfte seither zugenommen haben auch weil das Flexi-2-Gesetz von 2009 den Insolvenzschutz der angesammelten Ansprüche klarer regelte. Eine Untersuchung des F.A.Z.-Fachverlags aus diesem Januar unter 317 Geschäftsführern, Vorständen und Personalleitern ermittelte einen Anteil von 23 Prozent der Betriebe mit Zeitwertkonten, während Gleitzeitkonten in 74 Prozent der Unternehmen vorhanden waren. Als zweitwichtigsten Hemmschuh gaben die Befragten an, dass Garantierisiken und die unzureichende Rentabilität durch die Niedrigzinsphase die Unternehmen hinderten. Das gaben 36 Prozent der Befragten an. 58 Prozent teilten mit, andere Betriebsregelungen reichten aus, um Überstunden auszugleichen. Und 35 Prozent sagten, die Arbeitnehmer fragten keine Zeitwertkonten nach.
Einer der Pioniere der Zeitwertkonten war Volkswagen. Dort bauten einst viele Mitarbeiter ihre Wertkonten auf, in denen die Stunden in ein finanzielles Guthaben umgewandelt wurden. Anders als in der betrieblichen Altersversorgung aber mussten auf die Beiträge zunächst Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Schließlich erreichte VW eine Sonderregelung, die später auf alle Unternehmen ausgeweitet wurde. Finanzdienstleister konkurrieren um das überzeugendste Modell. Dabei setzen Banken auf Bürgschaften für die gestundeten Gehälter, Fonds- anbieter auf ihre freien Anlageformen und Versicherer auf Policen, die meist ohne biometrischen Schutz (also Versorgung im Todesfall oder bei Berufsunfähigkeit) gerechnet werden. Wie in der betrieblichen Altersversorgung nutzen viele größere Unternehmen Trust-Lösungen, also zweckgebundene Vermögen in einem besonders geschützten Anlagevehikel. In kleineren Unternehmen sind Rückdeckungsversicherungen üblich.
„Wir haben in Deutschland ein einzigartiges Instrument zur Arbeitszeitautonomie, aber keiner kennt es“, sagt Sven Beste aus dem erweiterten Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten.
„Schon gar nicht kennt es der Gesetzgeber.“ So gebe es etliche Nachteile, die Zeitwertkonten über die Jahre unnötig unattraktiver gemacht hätten. Zum Beispiel schränke der Staat Leistungen an Trans- ferempfänger ein, wenn diese gleichzeitig Auszahlungen aus dem Zeitwertkonten erhielten: beim Elterngeld oder der Familienpflege zum Beispiel. Wurden diese Leistungen reformiert, seien Zeitwertkonto immer vergessen worden. Hinzu komme, dass sich Arbeitsrechtler in diesem Nischenthema in der Regel nicht gut auskennen. Und für kleine und mittelgroße Unternehmen sei der administrative Aufwand beträchtlich. Dennoch sei die stärkere Verbreitung seit 2011 für die Produktgeber ein Erfolg.
Die Wünsche der Marktteilnehmer zeigen aber, dass sie sich von einigen Vereinfachungen noch mehr Dynamik versprechen. „Die Politik soll Zeitwertkonten nicht vorschreiben, aber würde sie ein paar Barrieren abbauen, könnte sie viel erreichen“, sagt diz-Vorstand Kircheis. Als positiv erachtet er, dass die SPD auf diesem Wege die Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften verbessern könne. Arbeitgeber könnten auf diesem Weg ein weiteres Instrument zum Rekrutieren und Binden von Beschäftigten in die Hand bekommen. „Wenn sie einem neuen Mitarbeiter in Aussicht stellen, für drei Monate auf die Bahamas zu fahren, zieht das mehr als die Aussicht auf eine betriebliche Altersversorgung“, sagt er.