Neue Regeln für Zeitwertkonten gehören zu den Reformaufgaben, die von der neuen Bundesregierung – egal in welcher Koalition – nach der Wahl mit besonderer Dringlichkeit behandelt werden dürften. „Die digitalen Arbeitswelten brauchen flexiblere Arbeitszeitkonzepte, die auch den gleitenden Übergang ins Rentenalter erleichtern“, erläutert Thorsten Kircheis, Vorstand der diz Deutsches Institut für Zeitwertkonten und Pensionslösungen AG. Die Parteien CDU, FDP und SPD haben den Reformbedarf erkannt und wollen, dass Unternehmen mehr Zeitwertkonten für ihre Beschäftigten einführen. Christ- und Freidemokraten haben das Thema in ihren Wahlprogrammen angesprochen. Für die SPD findet sich die Forderung im Weißbuch „Arbeiten 4.0“, das im Bundesministerium für Arbeit und Soziales erstellt wurde.

Das deutsche System der Zeitwertkonten ist ein europaweit einmaliges Mittel, um Motivation und Einsatzbereitschaft der Belegschaft zu erhöhen. In der CDU hat sich daher der junge Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker aus dem Wahlkreis Rastatt das Thema auf die Fahnen geschrieben. Er fordert: „Wir müssen gesetzgeberisch tätig werden, um die Verbreitung von Zeitwertkonten zu verbessern.“

Im Kern geht es dabei um die Gesetze „zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen“. Umgangssprachlich sind diese Regelungen als „Flexi I-Gesetz“ von 1998 und “Flexi II-Gesetz“ aus dem Jahr 2009 bekannt. Fast drei Viertel der DAX-Konzerne sowie rund ein Drittel der MDAX- und der größeren Mittelstandsunternehmen nutzen inzwischen Zeitwertkonten. Das zur Zeit der Finanzkrise entstandene Flexi-II-Gesetz und die laufende Rechtsprechung brachten jedoch Restriktionen mit sich, so dass insbesondere im Mittelstand kaum noch neue Zeitwertkonten eingerichtet werden. Während die politischen Parteien sich bislang noch recht allgemein dazu äußern, hat die BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. inzwischen konkrete Reformvorschläge vorgelegt, die auch von der diz AG begrüßt werden.


Hintergrund: Zeit – Geld – mehr Zeit

Flexible Arbeitszeitregelungen tragen erheblich dazu bei, dass sich Betriebe und Belegschaften auf wechselnde Marktbedingungen einstellen können. In vielen Unternehmen werden deshalb Arbeitszeitkonten geführt. Meist strebt man dabei an, dass sich Plus- und Minusstunden innerhalb eines Monats oder doch zumindest innerhalb eines Jahres ausgleichen. Durch Zeitwertkonten, deren Horizont über mehr als 12 Monate reicht, können Mitarbeiter ihre Mehrarbeitsstunden jedoch in „echtes Geld“ verwandeln und langfristig wieder in „mehr Zeit“ zurücktauschen. Die Detailbestimmungen dafür sind in den Flexi-Gesetzen geregelt. Ein Zeitwertkonto bietet also die Möglichkeit, während des Arbeitslebens „Zeit“ in Form von Überstunden oder Resturlaub anzusparen und in ein Wertguthaben umzuwandeln, das in „Geld“ (Euro) geführt wird.

Die Einbringung von Zeit kann durch vielfältige Sonderzahlungen ergänzt werden. Das reicht von gesetzlichen oder vereinbarten Überstundenzuschlägen über Leistungsprämien, Weihnachts- oder Urlaubsgeld bis hin zu freiwilligen Zuschüssen des Arbeitgebers. Der in Zeitwertkonten eingezahlte Lohn gilt zunächst als „nicht zugeflossen“ und ist daher bis zu seiner späteren zweckbestimmten Verwendung von Steuern und Sozialbeiträgen befreit. Ähnlich wie in der betrieblichen Altersversorgung führt dies zu deutlich „mehr netto von brutto“. Daraus ergeben sich über die Laufzeit erhebliche Vermögenssteigerungen in den Zeitwertkonten, die über private Sparformen nicht zu erreichen sind. Das Zeitwertkonto ist nämlich ein „echtes“ Kapitalkonto, das dem Arbeitnehmer in Höhe der eigenen Einzahlungen persönlich gehört. Es ist bei Arbeitgeberwechsel übertragbar oder lässt sich bei der Deutschen Rentenversicherung „parken“ – jedenfalls theoretisch. In der Praxis allerdings, so die Erfahrung der diz AG, bestehen Einschränkungen der Übertragbarkeit.

Brückenfunktion für Einkommenslücken

Die wachsenden Wertguthaben können flexibel für befristete Auszeiten („Sabbaticals“, längere Elternzeit, Weiterbildung) genutzt werden. Dies begründet Bedenken der Arbeitgeber an vielleicht auch zu großer Flexibilität, so dass plötzlich Lücken in der Belegschaft auftreten. Meist aber geht es den Arbeitnehmern um die Überbrückung von Einkommenslücken (Altersteilzeit, Vorruhestand) bis zum Renteneintrittsalter. Letzteres ist bisher die häufigste Verwendungsart. Die sozialversicherungsfreie Übertragung von Zeitwertguthaben zur Aufstockung von Betriebsrenten ab dem Rentenalter ist hingegen mit dem Flexi II-Gesetz 2009 verwehrt worden. Planmäßig können nur bis zum 13.11.2008 in Zeitwertkonten eingezahlte Beiträge für höhere Betriebsrenten genutzt werden. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn das Zweitwertguthaben vor Beginn des Rentenalters aus unerwarteten Gründen nicht genutzt werden konnte. Damit hat der Gesetzgeber im Prinzip einen besonders beliebten Verwendungszweck abgeschnitten, weil er missbräuchliche Überschneidungen mit dem Betriebsrentengesetz fürchtete. Dies hat das Interesse an Zeitwertkonten gedämpft. Es ist verständlich, dass es für denselben Zweck nicht zwei unterschiedliche, einander widersprechende Fördersysteme geben kann. Man sollte aber meinen, dass es der Politik mit etwas mehr „Gehirnschmalz“ gelingen sollte, eine sorgfältige Verzahnung von Zeitwertkonten und betrieblicher Altersversorgung zu bewerkstelligen. Ein detaillierter Vorschlag der aba Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung liegt hierzu bereits seit 2011 vor.

Ein weitgehend unbeachtetes Problemfeld betrifft Thorsten Kircheis zufolge GmbH-Geschäftsführer, sofern sie für ihre flexible Mehrarbeit ebenfalls mit einem steuergünstigen Zeitwertguthaben belohnt werden wollen. Dies ist angestellten oder Minderheits-Geschäftsführern ebenso wie beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern und Vorständen gemäß einem BMF-Schreiben aus 2009 und durch ein jüngstes BFH-Urteil nicht gestattet. Für diese Gruppe bewerten die Behörden Zeitwertkonten bislang als verdeckte Gewinnausschüttung und verlangen eine unmittelbare Lohnversteuerung für diese Beträge. „Das Eigeninteresse mittelständischer Unternehmer an der Einführung von Zeitwertkonten wird dadurch erheblich beeinträchtigt“, berichtet der diz-Vorstand.

Insgesamt besitzt das Thema Zeitwertkonten eine Komplexität, die es vergleichbar macht mit der erst nach langen Debatten verabschiedeten Reform der betrieblichen Altersversorgung.